Ich habe den Geschmack eines speziellen Gerichtes aus Marokko im Kopf: eine süsse, zimtige Zwiebelsauce, welche zum Couscous serviert wird. Ich war seit mehreren Jahren nicht mehr in Marokko, aber habe letzte Woche versucht, die Sauce aus dem Gedächtnis nachzukochen. Der erste Versuch missglückte absolut: ich kreierte eine wässrige Béchamelsauce mit leicht süsslichem Geschmack. So begann ich weitere Zutaten hinzuzufügen und nach etwa 10 Runden hatte ich beinahe 20 Zutaten verarbeitet und mittlerweile mindestens die doppelte Menge an Sauce. Und da fiel es mir auf: wenn wir etwas verbessern wollen, dann überlegen wir zuerst, was wir hinzufügen könnten. Und die Menge der Sauce wird dabei grösser und damit immer schwieriger zu verändern… Wie man Perfektion durch Weglassen erreichen kann, über diese Kunst lesen Sie in diesem Artikel.

Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann.

Saint-Exupéry

Inhaltsverzeichnis

Wir machen Dinge immer grösser und komplexer

Zugegeben, beim Kochen ist es schwierig, etwas zu entfernen. Aber nehmen wir doch ein paar zufällige Beispiele aus Beruf und Alltag. Wir wollen

  • Einen mehrheitsfähigen Vorschlag erarbeiten – wir untersuchen instinktiv die Interessen der Stakeholder und fügen für alle Beteiligten ein Goodie hinzu
  • Eine Argumentation vorbereiten: wir starten eine Liste und fügen laufend neue Punkte hinzu.
  • Eine politische Abstimmung gewinnen: die Vorlage soll für möglichst viele Personen einen Vorteil haben. Dadurch gibt es ein Birchermüesli mit vielen kleinen Geschenken.
  • Gesetze klarer machen: wir fügen neue Artikel hinzu, erklären genauer, zählen mehr auf. Wann haben wir je etwas aus dem Gesetzesbuch gestrichen?
  • Rasierer: Wann haben wir mal eine Klinge weggenommen? Ist das Resultat nun besser?
  • Im neuen Jahr bessere Menschen werden: gehören Sie auch zu den Menschen, die sich vornehmen, etwas zu machen oder etwas NICHT mehr zu machen?
  • Gesund werden: wenn ein Medikament Nebenwirkungen macht, dann nehmen viele Menschen ein zweites Medikament – gegen die Nebenwirkungen
  • Ein Zimmer unserer Wohnung gemütlicher einrichten: Wer wird etwas hinzufügen, wer was rausnehmen?
  • Unser Geschäft erfolgreicher machen: Wie viele Unternehmen werden ein neues Produkt hinzufügen oder einen neuen Vertriebskanal suchen? Vielleicht ist es schon zu viel und man sollte sich eher beschränken?

Es liegt anscheinend in der menschlichen Natur, dass viele von uns nicht gut und nicht gerne loslassen. Dies wäre ein Grund dafür, weshalb wir immer zuerst nach Möglichkeiten suchen, um noch etwas hinzuzufügen. Diese Neigung von Menschen wurde auch wissenschaftlich bestätigt (Artikel in Nature). Menschen übersehen systematisch die Möglichkeit, etwas wegzulassen statt etwas hinzuzufügen (Artikel HBR).

Die Erklärung der Wissenschaft ist, dass es uns einfach weniger auffällt, wenn etwas weggelassen wird. Entsprechend sehen wir um uns herum immer nur, wenn etwas hinzugefügt wird.

Einfachheit ist die höchste Form der Vollendung

Leoanardo da Vinci

Im Experiment unten wurden zum Beispiel viele Probanden gefragt, wie man mit den wenigsten Eingriffen dieses Bild (punkt-)symmetrisch machen kann. Die Mehrheit der Personen hat in den 3 Ecken jeweils baue Kacheln hinzugefügt anstatt in einer Ecke weisse Kacheln zu setzen.

Experiment: Symmetrisch machen (Quelle: Washington Post)

Die Kunst, wegzulassen!

Mit unserem Fokus auf HINZUFÜGEN übersehen wir systematisch eine Reihe von Optionen. Die Folge ist, dass viele Dinge immer grösser, komplexer und schwerfälliger werden. Dies ist ein sehr bekanntes Problem in vielen grossen Unternehmen oder auch der Verwaltung, aber auch bei Gesetzesbüchern, Rasierern, Abstimmungsvorlagen etc. Damit werden die Prozesse immer grösser und langsamer. Es ist also eine Kunst, auch einmal etwas wegzulassen, um etwas besser zu machen. Wie können wir sie lernen?

Gemäss den wissenschaftlichen Experimenten müssen wir häufig nur auf die Möglichkeit hingewiesen werden, etwas wegzulassen. Die Ideen folgen dann bei einem grossen Teil der Menschen automatisch (Studie von University of Virginia und Artikel HBR).

Fragen Sie bewusst: Was kann man weglassen, um dieses Problem zu lösen?

Machen Sie ein Brainstorming mit Fragen wie: Was ist die einfachste mögliche Lösung? Welche Idee würden wir jetzt sofort umsetzen ohne Planung? Wie würden Sie es alleine machen?

Oder überlegen wir doch, wie wir das Problem in einem anderen Kontext lösen würden. Es gibt nämlich ganz viele Bereiche, in denen wir automatisch aufräumen, loslassen und einfacher machen.

  • Wenn sich beim Wandern ein langer Dornenast an unserer Hose einhängt, überlegen wir dann, wie wir den Ast umgestalten könnten, damit wir ihn besser mitziehen können? Oder halten wir einfach kurz an und lösen den Ast?
  • Wenn Sie nach den Festtagen etwas viel Gewicht auf den Rippen haben und sich beim Joggen nicht mehr wohl fühlen: Fragen Sie sich, was Sie hinzufügen könnten, damit der Sport wieder angenehmer wird?
  • Wenn der Stuhl im Zimmer mit angebrauchten Kleidern überquillt: Werden Sie einen zweiten Stuhl daneben stellen oder mal aufräumen?

Sind wir doch ehrlich, grundsätzlich kann bei den meisten Menschen nur etwas Neues ins Leben kommen, wenn wir zuerst Platz dafür geschaffen haben: Dies betrifft unseren Job, Beziehung (hoffentlich), Wohnung oder Hobbies.

Perfektion durch Weglassen
Perfektion ist erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann!

Tipps für Weglassen im Unternehmen

Wie kann man nun im Unternehmen wieder schlanker, einfacher und schneller werden indem man weglässt? Das hängt natürlich stark vom Bereich ab, den Sie einfacher machen möchten. Einige allgemeine Ideen:

  • Erinnern Sie alle Mitarbeitenden an gut sichtbarer Stelle: Weglassen oder einfacher machen ist möglich und kostenlos
  • Teilen Sie Geschichten von erfolgreichem Weglassen, so werden Sie sichtbar
  • Verleihen Sie einen Preis für das Weglassen des Monats
  • Fragen Sie regelmässig: was hören wir nächsten Monat auf?
  • Fragen Sie am Schluss eines Projektes oder einer Sitzung routinemässig: können wir wieder etwas weglassen?
  • Führen Sie die CSO Funktion in Ihren Projekten ein: Chief-Subtractor Officer, eine rotierende Funktion wie der Advocatus Diaboli
  • Wenn Sie nervös werden, weil Sie etwas physisches loslassen müssen/wollen: Packen Sie es in eine grosse Kiste und schauen Sie, ob Sie es im nächsten Halbjahr vermissen. So ist die Hürde des Loslassens kleiner.

Für Fortgeschrittene und radikalere Projekte gibt es viele verschiedene Kreativitätstechniken, welche genutzt werden können, um ein Produkt oder ein Prozess einfach zu machen

Ich mag die SCAMPER – Methode, wenn es darum geht, etwas Neues zu erschaffen oder etwas Bestehendes zu verändern. Die Methode ist super, um etwas bewusst aus verschiedenen Perspektiven anzuschauen. Und das E steht für Eliminate: kann man die Situation oder den Gegenstand verändern, indem man etwas weglässt.

Machen Sie für radikale Veränderungen Prototypen eines Produktes oder Prozesses. Darkhorse: wie würde der Prozess aussehen, wenn wir selbst das Wichtigste weglassen? Funky Prototype: halten Sie den vollen Fokus auf Nutzen. Was dem Kunden keinen Nutzen bringt, kommt weg, daneben gibt es keine Einschränkungen. Viele Unternehmen kümmern sich zum Beispiel um umweltfreundlichere Verpackungen und machen je nach Bewertungsmethode mehr oder weniger Plastik dran. Und es gibt Unverpackt-Läden, welche sich gefragt haben: können wir die Verpackung ganz weglassen? In vielen Fällen ist dies nämlich möglich.

Zeichnen Sie den Prozess auf. Visuell wird bereits vieles sichtbar. Zusätzlich können Sie die Schritte auch nach Ihrem Nutzen einteilen.

Was kann man noch weglassen, damit es perfekt wird?

Ich habe mich bereits gefragt: was kann man in diesem Artikel weglassen? Haben Sie eine Idee? Schreiben Sie es in den Kommentaren. Schreiben Sie mir auch, wenn Sie noch weitere Ideen, Erfahrungen oder Tipps aus Ihrem Unternehmen haben. Gemeinsam werden wir zu Subtraktionsexperten.

evores unterstützt Sie dabei, in Ihrem Unternehmen Innovation zu schaffen – auch indem wir weglassen. Ein Blick von aussen hilft häufig, Überflüssiges zu sehen und eine Moderation hilft, die verschiedenen Ideen im Team zu sammeln, zu kombinieren, auszuwählen und umzusetzen. Kontaktieren Sie mich, wenn es einfacher werden soll!

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https://fuehrung-erfahren.de/2021/05/die-kunst-des-weglassens/

https://www.washingtonpost.com/business/2021/04/16/bias-problem-solving-nature/

https://hbr.org/2022/02/when-subtraction-adds-value

  • Die Kunst: Perfektion ist dann erreicht, wenn man nichts mehr weglassen kann.

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Über den Autor

Claudio Lehmann ist Gründer und Berater bei evores. Als Ingenieur und Unternehmensberater setzt er sich voll dafür ein, das vorhandene Potential in den Firmen sichtbar zu machen und zu nutzen. Langfristige Nachhaltigkeit beginnt bei motivierten Mitarbeitenden und geht über effiziente Zusammenarbeit bis zur innovativen Strategie von Unternehmen, welche in der Gesellschaft einen Wert bringen. People. Planet. Profit.

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